In der neunten Kalenderwoche 2024 erschienen in den deutschen Kinos die Filme “The Zone of Interest” von Jonathan Glazer und “Dune: Part Two” von Denis Villeneuve. Selbst wenn die beiden Filme auch international näher bei einander veröffentlicht worden wären, so wären sie wohl dennoch nie geshippt worden, wie es 2023 mit “Barbenheimer” geschehen ist. Es handelt sich sowieso im Kern um einen Zufall, da “Dune: Part Two” eigentlich schon 2023 veröffentlicht werden sollte und gerade Glazers “The Zone of Interest” wäre für derlei Dynamik wohl einfach immer noch nicht Blockbuster genug, obgleich der Schriftzug “A24” stetig an Wiedererkennungswert und Reputation gewinnt. Aber eigentlich schade, dass diese Chance ausblieb, stellen die beiden Filme doch ein erstaunlich kohärentes, wenn auch diametrales Double-Feature dar.
Krieg und Vernichtung
In “The Zone of Interest” beobachten wir das glückselige Leben der Familie des Lagerkommandanten Rudolf Höß, die gleich neben dem Konzentrationslager Auschwitz wohnen und die mit höchster Gleichgültigkeit, nein gar mit innerem Frieden, ihren Profit aus der verachtenden Vernichtung von Menschenleben ziehen. Wenngleich wir die Untertöne und Hintergrundgeräusche des Filmes einzuordnen wissen, haben wir es am Ende doch mit einer Familie zu tun, die es ebenso mit Banalitäten des Lebens zu tun haben. Mit der Sorge, das gute Leben wegen einer beruflichen Versetzung hinter sich lassen zu müssen oder mit Streits und Uneinigkeiten in der Familie. Es ist die sittsame Gefolgschaft Adolf Hitlers, die seine Befehle in aller Sorgsamkeit ausführen, aber in der Hierarchie nicht wagen, an ihn heranzutreten. Während wir in “Dune: Part One” von 2021 erlebten, wie das Haus der Atreides als neue Herrscher über den Wüstenplaneten Arrakis nahezu ausgelöscht wurde und der Protagonist Paul Atreides zum tragischen Helden auf der Flucht wurde, zeichnet “Dune: Part Two” nun seine Rückkehr und Machtergreifung. Durch jahrhundertelanges Kalkül durch den mächtigen Schwester-Zirkel der Bene Gesserit, wird Paul unter den Einwohnern des Planeten Arrakis zunehmend als Prophet verehrt. Nach anfänglichem Sträuben nimmt er die Rolle des Propheten für sich an und wird zum religiösen Führer. In dem Zuge legt er die Herzlichkeit, die sein Vater noch auszeichnete, zunehmend ab und löst nicht zuletzt den Djihad, den heiligen Krieg unter den Häusern, aus.
Nun, beide Filme erzählen eine Geschichte des Faschismus und der religiös gefärbten Legitimierung von Krieg und systematischer Vernichtung. So weit, so naheliegend. Beide Filme sind dabei meisterhaft darin, die Perspektiven auf ihre Charaktere zu verschieben. Ein Anflug von Mitleid könnte man bekommen, wenn Sanda Hüller weinend neben ihrem Mann ihre Zukunft abwägt. Das Mitleid hält dabei maximal so lange an, bis die nächsten Schreie, Hunde oder Schüsse aus dem Hintergrund dringen. Auf der anderen Seite beobachten wir, wie der einstige Sympathisant einer Geschichte zum Kriegstreiber verkommt und dabei nicht davor zurückscheut, sich die Hände noch selbst schmutzig zu machen. Beide Filme erzählen also weitestgehend eine ähnliche Geschichte, sind nur durch ihre Blickwinkel diametral zu verstehen.
nah, fern, schwarz, weiß
Ebenso diametral, wie die Geschichten erzählt werden, könnte man die Kamera- und Kulissenarbeit begreifen. “Dune” ist epochal und in seinen Architekturen stets monumental. Im Kontrast zu den riesigen Landschaftaufnahmen und Establishing Shots kommen wir den Charakteren über die IMAX Leinwand oft besonders nahe durch häufig gewählte extremen Close-ups. Damit alterniert Dune stark zwischen zwei Polen an Distanz. “The Zone of Interest” zwängt uns in eine beobachtende Perspektive mitten in die Familie. Als “Big brother in a Nazi house” beschrieb Glazer es, aufgrund des Einsatzes diverser versteckter Kameras mit geringer Brennweiten (laut Cinematograph Lukasz Zal primär 28-21 mm) und Mikrofone auf Grundstück des Hauses. Beide Filme wissen damit genau um ihre Mittel zur Immersion für ihre jeweiligen Geschichten.
Spannenderweise gleichen sich beide Filme allerdings in einer Besonderheit. So bekommen wir in beiden Filmen Szenen oder Sequenzen gezeigt, die im Gegensatz des restlichen Films in kontrastreichem Schwarz-Weiß gefilmt sind. In technischer Umsetzung und Stilistik unterscheiden sie sich zwar, jedoch findet ein derartiger Bruch nun auch nicht alle Tage statt. In “Dune: Part Two” ist es der Heimatplanet der antagonistischen Baronie der Harkonnen, der in Schwarz-Weiß portraitiert wird, gefilmt mit Infrarot-Kamera. In “The Zone of Interest” sehen wir hingegen immer wieder Aufnahmen eines polnischen Mädchens, das des Nachts Nahrungsmittel für die Gefangenen in den Arbeitsstätten außerhalb des Lagers versteckt. Diese Aufnahmen wurden dabei mit einer Thermalkamera gefilmt, was den Aufnahmen eine sonderbar artifizielle Note verleihen, da gerade das Mädchen und ihre versteckten Äpfel ein weißes Leuchten umgeben. Dadurch wird die glanzvolle Geste des Mädchens bei Nacht unter Einsatz ihres Lebens hervorgehoben, während die kontrastreiche Schwarz-Weiß-Dualität in Dune die emotionale Blässe und die abgründig düstere Herkunft der Harkonnen symbolisiert.
Es ist also faszinierend, wie zur gleichen Zeit zwei grundverschiedene Filme veröffentlicht wurden, sie sich aber im Kern doch zu ergänzen scheinen. Sie handeln von faschistischer Herrschaft und fanatischer Gefolgschaft, verhandeln die Aspekte jedoch diametral zu einander, in dem sie das Monster im Menschen oder das Menschliche im Monster zeigen. Ich möchte also einmal für die Nachwelt festhalten: In 2024 gab es “The Dune of Interest” – womöglich das wichtigere Barbenheimer.
Quellen:
Emmons, Seth: “Lukasz Zal, PSC Captures the Tone of Interest with Leitz M 0.8 Lenses.”, Abgerufen über: https://www.leitz-cine.com/interview/lukasz-zal-psc
Roxborough, Scott: “Framing the Horrors of the Holocaust Through a 21st Century Lens: Making of ‘The Zone of Interest’”, Abgerufen über: https://www.hollywoodreporter.com/movies/movie-features/making-the-zone-of-interest-holocaust-modern-retelling-1235766323/